Scheinselbständig? Ich doch nicht
Als mir im Frühjahr 2014 „Scheinselbständigkeit“ unterstellt wurde, war ich vollkommen von den Socken. Ich bin in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen, war seit 14 Jahren selbständig und erfolgreich als Softwareentwickler tätig. Ich hatte zufriedene Kunden und war gut drauf. Natürlich hätte Einiges besser laufen können. Ich hatte ursprünglich Spezial-Software entwickelt, deren Vertrieb mich aber nicht ernährte. Darum übernahm ich vermittelte Projekte. Ich war gut und lernte schnell. Nebenbei baute ich an meiner Software weiter, bemühte mich, den Vertrieb anzukurbeln. Doch je zufriedener meine Projektkunden wurden, desto länger liefen die Projekte und desto weniger Zeit blieb für mein eigenes Ding. Und plötzlich ist Dein Framework veraltet, ist die Website altbacken, kommen Deine Werbesprüche nicht mehr an. Aber was soll’s, das Projektgeschäft brummte. Die Kalkulation war einfach: Sorge für genügend Rücklagen, um Deine Verhandlungsposition zu stärken, um Krankheit, Urlaub und projektfreie Zeiten abzufedern, beschränke die Werbung auf Dein Profil, die richtigen Netzwerke und Referenzen. Da meine private Rentenversicherung in der Finanzkrise 2008/09 fast in die Knie ging, begann ich selbst, mich um die Geldanlage fürs Alter zu kümmern. Also: Alles im grünen Bereich.
Wirklich nervig waren nur die Projektvermittler, die für's Nichtstun (gerade bei meinen Langläufern) ordentlich abkassierten. War ich in den ersten Jahren noch sehr aktiv und unternehmerisch beim Endkunden tätig, bröckelte das immer mehr ab: Die Belohnungen bekamen die Vermittler und ich guckte in die Röhre. Ich ärgerte mich maßlos über die Einkaufsabteilungen meiner Endkunden, die aus Trägheit am „bewährten“ Vermittlermodell festhielten und ich ärgerte mich noch viel mehr über die Kundenschutzklauseln, die mich immer wieder in das Vermittlermodell zurückzwangen. Trotzdem: Ich war erfolgreich als Unternehmer tätig. Ich war stolz darauf und erlaubte mir die kleine Schwäche, über die Arbeitnehmer zu lästern, die bei jedem Zipperlein zum Arzt rannten und sich Krankschreiben ließen.
Ausgeträumt
Die Blase platzte, als bei meinem letzten Kunden eine Prüfung der Rentenversicherung anstand. Mein Kunde beschäftige viele externe Entwickler, davon die meisten über Vermittlungsagenturen, andere direkt und schon ziemlich lange. Ich war (vermittelt) seit drei Jahren dort und es lief gut. Doch beim Kunden brach die große Panik aus, bei meinem Vermittler auch. Einige Kollegen wurden sofort nach Hause geschickt. Wir anderen wurden vor die Alternative gestellt, entweder in die Arbeitnehmerüberlassung zu gehen oder uns ebenfalls zu verabschieden. Scheinselbständigkeit in der IT war ein brandneues Thema und die Gerüchteküche brodelte. Mit jeder neuen Halbinformation stieg das Paniklevel und nach drei Wochen waren Zweidrittel meiner freien Kollegen in den „sicheren“ Hafen der Arbeitnehmerüberlassung eingelaufen, verzichteten auf ihre Freiheit und auf Eindrittel ihres Einkommens! Andere gründeten überhastet Ein-Mann-GmbHs, die dann auch nichts nützten. Was für ein Scheiß? Da kommt die Rentenversicherung daher und unterstellt mir, dass ich ein Sozialschmarotzer sei, weil ich keinen sozialversicherungspflichtigen Angestellten brauche und weniger als zwanzig Prozent meines Umsatzes mit meiner eigenen Software mache! Ich trüge ja kein unternehmerisches Risiko. Hallo! Meine unternehmerische Fähigkeit war es doch, genau dieses Risiko zu minimieren.
Arbeitnehmerüberlassung? Geht gar nicht
Ein Wechsel in die Arbeitnehmerüberlassung kam nicht in Frage. Aber was dann? Zusammen mit zwei Kollegen suchte ich einen erfahrenen Fachanwalt für Gesellschaftsrecht auf. Welche Gesellschaftsform schützt uns vor dem Vorwurf der Scheinselbständigkeit? Entscheidend sei, so der Anwalt, dass wir finanziell am Risiko der Gesellschaft beteiligt seien und die Entscheidungen verantwortlich mittrügen. Das vertraute Modell, nach dem die Gesellschaft die Rechnung an den Kunden stelle und der Dienstleister die Rechnung an die Gesellschaft stelle, funktioniere nicht. Vielmehr müsse der Dienstleister als Eigentümer der Gesellschaft seine Leistungsvergütung über eine Gewinnausschüttung beziehen. Dafür kämen zwei Gesellschaftsformen in Frage: die GmbH & Co. KG oder die Genossenschaft. Die GmbH & Co. KG ist allgemein anerkannt aber sehr teuer und unflexibel. Die Genossenschaft ist weitgehend unbekannt, jedoch viel billiger und sehr viel flexibler. Wir entschieden uns für die Genossenschaft.
Zwei Hürden mussten noch genommen werden: Erstens waren wir alle über Kundenschutzklauseln unserer Vermittler daran gehindert, in direkte Geschäftsbeziehung zu unserem Endkunden treten. Mit Hilfe unseres Anwalts und einer geschickten Verhandlungsstrategie gelang es uns, aus der Kundenschutzklausel entlassen zu werden. Nun musste unser Kunde davon überzeugt werden, dass unser Modell ihn selbst vor dem Vorwurf der Beschäftigung von Scheinselbständigen schützte. Diese Hürde war viel schwieriger zu nehmen, gab es doch keine rechtssichere Garantie. Wir leisteten Schwerst-Überzeugungsarbeit und bekamen am Ende Unterstützung von den Anwälten unseres Kunden. Die hatten unser Beteiligungs- und Ausschüttungsmodell geprüft und abgenickt. Dieses Modell verlangt uns und unserem Kunden ein Umdenken in der gesamten Gestaltung der Zusammenarbeit ab. Aber wir schafften es und sind im Geschäft.
Die Gründung der IT-Projektgenossenschaft
Die Gründung der Genossenschaft war mühsam und erforderte sehr viel Einsatz und Zeit. Zeit, die uns keiner bezahlt. Wir sind immer noch im Gründungsprozess und jeden Tag ergeben sich neue Fragen und Probleme. Schritt für Schritt finden wir Antworten und lösen die Probleme. Aber wir sind ganz und gar Unternehmer. Was soll uns aufhalten?
We can do IT!
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